Melanom-Alarm

von Stefanie Reinberger, bild der wissenschaft, 8/2008

 

Sommer, Sonne, Sonnenbrand – das Trio bereitet dem Schwarzen Hautkrebs den Weg. Besonders gefährdet sind Kinder.

 

Jürgen Becker, Oberarzt an der Hautklinik der Universität Würzburg, hat wenig Verständnis für Zeitgenossen, die sich stundenlang in der Sonne aalen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um Familien mit kleinen Kinder handelt. Mit Schaudern erinnert er sich an eine Szene, die er einst an einem italienischen Strand beobachtete: Ein Paar legte sich mitsamt seinem ungefähr einjährigen Sprössling in die pralle Mittagssonne. „Das Kind krabbelte immer wieder in den Schatten, doch seine Eltern haben es jedes Mal zurückgeholt“, erzählt er, noch immer fassungslos.

Dabei hatte der Dreikäsekoch instinktiv richtig gehandelt. Denn für Kinder stellt das Sonnenlicht ein besonders hohes Risiko dar. Ihre Haut ist viel dünner als bei Erwachsenen, und die Ausbildung des schützenden Pigmentfarbstoffs Melanin läuft deutlich langsamer ab. Sonnenbrände in Kindheit und Jugend, so die einhellige Meinung der Mediziner, erhöhen das Risiko, später an Krebs zu erkranken. „Aber auch ohne diese äußeren Anzeichen schadet das UV-Licht der Haut, und das Krebsrisiko steigt“, sagt Becker und präzisiert: „Das gilt besonders für den Schwarzen Hautkrebs.“

Der Schwarze Hautkrebs, fachlich Malignes Melanom genannt, ist eine der gefährlichsten Formen von Hautgeschwülsten. Es handelt sich um bösartige Neubildungen von Pigmentzellen (Melanozyten). Im Gegensatz zu anderen Hautkrebsarten, etwa dem Weißen Hautkrebs älterer Menschen, sind Melanome zwar relativ selten. Sie führen jedoch viel häufiger zum Tod, da sie oft schon in einem frühen Stadium Metastasen bilden. Rund ein Prozent aller Krebstodesfälle in Deutschland ist auf diesen speziellen Hauttumor zurückzuführen: Nach Angaben der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (GEKID) erkranken in der Bundesrepublik jedes Jahr rund 149 000 Menschen am Malignen Melanom, 2300 sterben daran.

 

WEISSE HAUT IN PRALLER SONNE

Das Risiko, im Laufe des Lebens Schwarzen Hautkrebs zu entwickeln, beträgt hierzulande etwa 1 zu 200. In Australien, wo die UV-Strahlung intensiver ist als in unseren Breiten, liegt es bei 1 zu 50. Der Einfluss des Sonnenlichts ist also nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere der längerwellige UV-A-Anteil wird mit der Entstehung von Melanomen in Verbindung gebracht. Und: Epidemiologische Studien in den letzten 25 Jahren haben deutlich gezeigt, dass Menschen, die als Kind erhöhter UV-Strahlung ausgesetzt waren, besonders gefährdet sind. So stellten Wissenschaftler um D’Arcey Holman vom Department for Public Health der University of Western Australia in Nedlands bereits 1984 fest, dass Kinder aus weißen Einwandererfamilien – vorwiegend aus Großbritannien – in Sachen Schwarzer Hautkrebs gefährdeter sind als ihre älteren Verwandten. Waren sie bei der Ankunft auf dem fünften Kontinent jünger als 10 Jahre, so war ihr Risiko vergleichbar mit dem gebürtiger Australier mit heller Hautfarbe – also rund viermal höher als in der alten Heimat. Bei Einwanderern, die am Tag der Einreise bereits 15 Lenze oder mehr zählten, beobachteten die Forscher dieses Phänomen dagegen nicht.

Doch es muss nicht gleich Australien sein. Eine ganze Reihe epidemiologischer Untersuchungen belegt einen vergleichbaren Effekt für andere Sonnenplätze unseres Planeten, etwa für Neuseeland oder Kalifornien. Und für ein erhöhtes Melanomrisiko ist es nicht einmal notwendig, für immer auszuwandern. Ein Team um Philippe Autier vom Europäischen Institut für Onkologie in Mailand untersuchte eine Gruppe von Deutschen, Franzosen und Belgiern und stellte fest: Bereits ein Jahr in der Sonne – sei es am Mittelmeer oder in den Tropen – genügt, um die Gefahr zu vervierfachen, am Schwarzen Hautkrebs zu erkranken. Und wieder waren vor allem die unter Zehnjährigen betroffen. „Ganz offensichtlich gibt es eine Art Zeitfenster, in dem Schäden durch UV-Strahlung besonders gravierende Folgen haben“, erläutert der Würzburger Hautspezialist Jürgen Becker.

 

MÄUSE IM SONNENSTUDIO

Dieser Beobachtung wollten Wissenschaftler um Glenn Merlino und Frances Noonan von der George Washington University in Washington, D.C. auf den Grund gehen. In einer 2001 veröffentlichten Studie untersuchten sie den Effekt des UV-Lichts bei Mäusen. Dazu verwendeten sie genetisch veränderte Labortiere, bei denen die Melanozyten in der Haut ähnlich verteilt sind wie beim Menschen. Die Tiere wurden entweder dreieinhalb Tage nach der Geburt oder im Alter von sechs Wochen mit UV-Licht bestrahlt, eine dritte Gruppe zu beiden Zeitpunkten. Die Ergebnisse waren deutlich: Die sechs Wochen alten, also beinahe erwachsenen Nager entwickelten – genau wie die unbehandelten Kontrolltiere – während des Beobachtungszeitraums von insgesamt 13 Monaten keine Melanome.

Von den Mäusen, die bereits als Baby der schädlichen Strahlung ausgesetzt waren, bekamen fast 60 Prozent Tumore. In der Gruppe, die zweimal unter die UV-Lampe musste, waren es sogar 80 Prozent. Warum junge Haut besonders anfällig ist für langfristige Schäden, ist noch nicht endgültig geklärt. „Dazu gibt es derzeit verschiedene Theorien“, sagt Becker. Eine davon besagt, dass das Immunsystem von Kindern noch nicht ausgereift ist und möglicherweise durch die Strahlung veränderte Melanozyten toleriert, statt sie zu bekämpfen. Verbleiben die schadhaften Pigmentzellen jedoch in der Haut, ist der Grundstein dafür gelegt, dass sie sich später vermehren – möglicherweise nach weiteren Schäden – und zu Tumoren auswachsen können.

 

DIE STAMMZELL-HYPOTHESE

„Die derzeit gängigste Hypothese ist aber, dass bei den Kindern die Melanozyten selbst – oder besser gesagt: deren unreife Vorläuferzellen – noch hoch teilungsaktiv sind und durch das Sonnenlicht in einem frühen Entwicklungsstadium geschädigt werden“, so Becker. Im Prinzip verfügt jedes Körpergewebe über einen Pool an sogenannten Gewebestammzellen. Sie sind noch undifferenziert und zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, sich zu vermehren und zu spezialisierten Zelltypen mit spezifischen Aufgaben heranzuwachsen. Werden diese Vorläufer beschädigt – etwa durch UV-Licht –, kann es passieren, dass sie beginnen, sich in ihrem unreifen Zustand unkontrolliert zu vermehren. Die Folge: Anstelle von Pigment produzierenden Melanozyten entstehen entartete Zellen und schließlich ein Melanom.

Becker erklärt: „Die Rolle solcher Krebsstammzellen wird derzeit im Zusammenhang mit verschiedenen Tumorarten diskutiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Entwicklung von Melanomen darauf zurückzuführen ist.“ Tatsächlich verdichten sich die Hinweise, dass die Theorie stimmt. So haben Wissenschaftler aus verschiedenen Instituten weltweit Melanomzellen untersucht und dabei Oberflächenstrukturen identifiziert, die typisch sind für Stammzellen und ihre entarteten Kollegen.

Da sich in der Haut von Kindern noch viele unreife und teilungsaktive Vorläufer von Melanozyten befinden, ist bei ihnen die Gefahr besonders groß, dass aus Stammzellen Krebsstammzellen werden – eine Hypothek, die die Geschädigten dann in ihrem weiteren Leben mit sich tragen. Daher gilt mehr denn je: Kinder müssen vor Sonnenlicht geschützt werden. Das bedeutet nicht, dass Badespaß und Sommerurlaub am Mittelmeer ab sofort gestrichen sind. Aber ein vernünftiger Umgang mit der Gefahr ist nötig.

„Kinder gehören auf keinen Fall in der Mittagshitze nach draußen. Sie sollten auch lieber im Schatten als in der prallen Sonne spielen“, rät Becker. Außerdem empfiehlt er, die empfindliche Haut durch Kleidung zu schützen und gute Sonnencremes – selbstverständlich mit UV-A- und UV-B- Schutz – zu verwenden. So lassen sich die Sommermonate genießen, ohne die Gesundheit der Sprösslinge zu gefährden. ■

 

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