Heimat und Identität: Kompass im Kopf

Blogbeitrag im Rahmen der Aktion "Heimat und Identität"

in: wissenslogs.de - Science and the City

 

Wo ist eigentlich Heimat? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht! Es fällt mir extrem schwer, einen Ort zu benennen, den ich als meine Heimat bezeichnen kann, das Zuhause, mit dem ich mich identifiziere. Ich bin so oft umgezogen, dass ich wohl ein bisschen den Überblick verloren habe. Oder sollte ich besser sagen, die Orientierung?

Irgendwie hat Heimat doch auch etwas damit zu tun, wo wir uns auskennen. Oder fühlen Sie sich etwa heimisch, wenn Sie ständig nach dem Weg fragen oder den Stadtplan zücken müssen? Also, bei mir passt das zumindest nicht zusammen. In dem kleinen schwäbischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, kenne ich mich zum Beispiel nicht mehr aus. Klar, die grobe Orientierung steht noch: Kirche, Schule, Bahnhof, Elternhaus... Aber seit ich vor mehr als 20 Jahren dort weggezogen bin, hat sich vieles geändert, neue Straßen, neue Häuser, neue Verkehrsführung und die alteingesessenen Bäckereien sind längst den Filialen irgendwelcher Ketten gewichen.

Oder nehmen wir Hamburg, die schöne Stadt im Norden, die ich einige Jahre meine Wahlheimat nennen durfte. Irgendwann – zu diesem Zeitpunkt habe ich längst in Heidelberg gelebt – musste ich feststellen, dass ich mich nicht mehr mit schlafwandlerischer Sicherheit in irgendeinen U-Bahn-Schacht stürzen konnte, um etwa vom Hauptbahnhof nach Eimsbüttel zu fahren. Plötzlich half nur noch ein Blick auf den Steckennetzplan, um tatsächlich in die richtige Richtung zu düsen. Das war der Punkt an dem ich gemerkt habe: Hier bin ich nicht mehr zu Hause.

Kartenpuzzle im Oberstübchen
Worauf ich hinaus will: Wo ich zu Hause bin, kenne ich mich auch aus. Heimat hat demnach mit Orientierung zu tun. Und vielleicht, liege ich mit diesem Eindruck gar nicht mal so falsch, denn zumindest sieht alles danach aus, dass wir uns in unserem Heimatort anders orientieren. Das haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen herausgefunden.

Die Forscher aus der Abteilung Wahrnehmung, Kognition und Handlung, interessieren sich dafür, wie sich Menschen im Raum orientieren, wie sie also etwa ihren Weg von A nach B finden. Dazu nutzen sie virtuelle Realitäten und lassen ihre Probanden durch Cyberstädte und computergenerierte Labyrinte spazieren, um unter Laborbedingungen zu untersuchen, welche Strategien dabei helfen, sich eine bestimmte Strecke einzuprägen.

Vieles aus dem Cyberlabor deutet darauf hin, dass wir die Informationen über die Umgebung, die wir erkunden, nicht in einer umfassende große Landkarte abspeichern. Statt dessen scheinen wir kleine Puzzlesteine derselben in unserem Oberstübchen horten und setzen sie dann nach Bedarf zusammen. Daher helfen uns bei der Orientierung vor allem lokale Informationen, also das Wissen über den aktuellen Standort und darüber, wie der Weg von hier aus aussieht.

Deutlich wurde dies etwa, als die Tübinger ihre Probanden immer wieder einen bestimmten Weg durch eine virtuelle Stadt wandern leisen, bis sie sich diesen gemerkt hatten. Danach wurden sie in der Animation an eine bestimmte Kreuzung "gebeamt" und gebeten, von hier aus zu anderen markanten Punkten zu deuten, also etwa zum Startpunkt oder zum Ziel. Das fiel den  Versuchspersonen wesentlich leichter, wenn sie dabei entlang der Laufrichtung schauen konnten, als wenn sie etwa gegen eine Wand starren mussten. Daraus schlossen die Forscher, dass sich die Probanden nicht an globalen Bezugspunkten wie den Himmelsrichtungen orientierten, sondern an lokalen Merkmalen, also daran, ob sie beispielsweise am roten Haus nach rechts oder nach links gehen mussten.

Zu Hause zeigt die Kompassnadel nach Norden
Soweit zur fremden Umgebung. Doch zu Hause scheint alles irgendwie anders zu sein. In einem weiteren Experiment teleportierten die Forscher ihre Probanden in eine fotorealistische Simulation der Tübinger Altstadt. Sämtliche Versuchsteilnehmer, lebten bereits seit mehr als zwei, im Schnitt sogar schon seit sieben Jahren in der Unistadt und kannten sich bestens aus. Auch sie wurden gebeten, von ihrem Standpunkt aus in Richtung markanter Punkte zu deuten, also etwa zu Sehenswürdigkeiten. Und hier lauerte die große Überraschung: Plötzlich kamen die Himmelsrichtungen ins Spiel! Tatsächlich gelang den Tübingern ihre Aufgabe besser, wenn sie sich dabei selbst nach Norden ausrichteten, also ganz so, wie sich die Altstadt auf einem Stadtplan darstellen würde. Die Probanden orientierten sich im Experiment also nicht an lokalen Bezugspunkten – Welchen Weg wähle ich normalerweise von dieser Stelle aus? – sondern an globalen.

Erste Hinweise mit Freiwilligen aus anderen Orten deuten darauf hin, dass dieser Effekt nicht auf Tübingen beschränkt ist. Scheinbar gilt: Wer seine Stadt kennt, orientiert sich bevorzugt an der Himmelsrichtung Norden. Ganz offensichtlich verinnerlichen wir mit der Zeit nicht nur die Information, die wir auf unseren täglichen Wegen sammeln, sondern auch den Stadtplan. Für die Max-Plank-Forscher bedeutet das letztlich, dass das Gehirn in der Lage ist, verschiedene Strategien zur Navigation zu nutzen, wie der Psychologe Tobias Meillinger erklärt, der sich auf das Thema Raumorientierung spezialisiert hat. Wenn wir von einer bestimmten Umgebung Kartenwissen besitzen, dann greifen wir auch darauf zurück.

Heimatfragen werden am Institut nicht erforscht. Trotzdem wäre es natürlich interessant, die Probanden der Tübinger MPI-Forscher zu fragen, ob sie sich in der schwäbischen Denkerstadt nicht nur auskennen wie in ihrer Westentasche, sondern ob sie sich auch zu Hause fühlen, sie als ihre Heimat bezeichnen können.

Ich werde die Sache im Selbstversuch beobachten. Seit kurzem lebe ich nämlich in Köln. Den Weg ins Büro und zu meinem Lieblingscafé habe ich bereits verinnerlicht, aber ansonsten gilt: Stadtplan fragen! Aber irgendwann vielleicht beginnen sich meine Wege "einzunorden". Und dann werde ich mich fragen: Bin ich hier zu Hause? Ist das meine neue Heimat?

Kommentar schreiben

Kommentare: 0