von Stefanie Reinberger, wissenslogs.de -> Science and the City
Also mal ehrlich: Da fliegen die deutschen Frauen im Viertelfinale gegen Japan raus. JAPAN!!! Kann man es fassen? Ich nicht! Die Mädels aus Nippon sind ja gerade mal so hoch wie die Eckfahne, und wenn ich ehrlich bin, denke ich bei Japan auch eher an Karate, Kimonos und Karaoke als an Fußball. Aber vielleicht ist das genau der Fehler. Wir haben Vorurteile und sind daher für Überraschungen nicht wirklich gewappnet.
Dabei haben wir doch alle schon als Kinder gelernt: Vorurteile sind doof, sollte man lieber nicht haben. Trotzdem graben sie sich bevorzugt ganz tief in unsere Gehirne ein – selbst dann, wenn wir
uns eigentlich schon x-mal vom Gegenteil überzeugen durften. Denn: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und wie ich so über Stereotype und den Hang zur vorgefassten Meinung sinniere, entschließe ich
mich, den Bremer Hirnforscher Gerhard Roth zu diesem Thema zu befragen.
Vorurteile, so lerne ich, helfen uns schnelle Entscheidungen zu treffen – bei geringstmöglichem Energieaufwand. "Das entlastet die Handlungsvorbereitung intellektueller und emotionaler Art", so
Roth. "Stellen wir uns dagegen auf alle möglichen Eventualitäten ein, so verbraucht unser Hirnstoffwechsel viel Energie." Wir sind also kognitive Geizhälse und machen es uns gerne mit unseren
Vorurteilen bequem. Und das nicht ohne Erfolg.
Ein Beispiel, wie es sich in grauer Vorzeit zugetragen haben könnte: Wir leben mit unserem kleinen Clan weit ab von anderen menschlichen Behausungen. Plötzlich sehen wir von Weitem jemanden auf
unser Dorf zusteuern, am besten gar mehrere Fremde. Das interpretieren wir als Unheil – denn um zu helfen oder ein Schwätzchen zu halten, hat hier noch nie einer vorbeigeschaut. Besuch heißt
Gefahr, urteilen wir also und entscheiden uns blitzschnell für Verteidigung, noch bevor wir die ungebetenen Gäste nach ihrem Anliegen befragen können.
Ähnlich mag uns unser Repertoire an Vorurteilen auch heute schützen, wenn jemand um unser Haus schleicht, der da garantiert nichts verloren hat. Oder wenn etwa ein vermummter Kerl mit Waffe vor
uns steht – ein Bild, das uns sicherlich nicht dazu bewegt, unser Gegenüber auf ein Bier einladen zu wollen.
Doch nicht immer lautet die Antwort unseres Denkorgans: Achtung! Gefahr im Verzug! Manchmal, lullen uns unsere vorgefertigten Meinungen auch regelrecht ein. "Wenn es heißt 'Wir schaffen das
schon', dann braucht man sich nicht besonders vorzubereiten", erklärt Roth.
Und damit wären wir wieder beim Fußball. Nein, ich will jetzt nicht sagen, das deutsche Team hätte sich nicht ausreichend vorbereitet. Aber wenn man weiß, dass die Damen aus Nippon vorher noch
nie gegen ein europäisches Team gewonnen haben, und die deutschen Mädels die Japanerinnen in sieben von acht Spielen besiegten und nur einmal unentschieden vom Platz gingen, dann kann sich unser
Denkorgan nur schwer vorstellen, warum es diesmal anders sein sollte. Wir kalkulieren das – aus Kostengründen – einfach nicht mit ein. Und tatsächlich waren ja auch allesamt überrascht, als die
kleinen Fußballerinnen aus dem Land der aufgehenden Sonne plötzlich ins Halbfinale zogen – und die Favoritinnen wie begossene Pudel vom Platz.
Nun aber heißt es auch für die Siegerinnen des unglücklichen Viertelfinales: Aufgepasst! Schließlich besteht die Gefahr zu denken: Ja, wenn wir erstmal Deutschland geschafft haben... Und
tatsächlich erlaubte sich ein Niederländischer TV-Sender den Faux-Pas, die Japanerinnen nach dem siegreichen Viertelfinale schon als Weltmeisterinnen zu feiern. Autsch!
Aber vielleicht sind die Fußballerinnen aus Nippon auch einfach ein bisschen anders. Denn nicht alle hängen gleichermaßen an ihren Vorurteilen und machen sich dadurch das Leben bequem. "Wenigen
Menschen macht es von ihrer Persönlichkeit her Spaß, ständig neue Dinge auszuprobieren", so Gehirnforscher Roth. Diese Personen neigen meist zu riskantem Verhalten, lerne ich und denke dann:
"Passt ja irgendwie zu Japan..."
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